Montag, 25. Juni 2012

Kleinstadtkinder
Die „Stadt Schwäbisch Hall“ fragt: Was brauchen Kinder und Jugendliche?
Und sie gibt die Antwort: „Kinder brauchen Kinder. Jugendliche suchen Frei(e)-Räume. Gleichberechtigte Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen.“
Sie formuliert sich auf der Internetseite und in Broschüren verständnisvoll, aufgeschlossen und edel als Stadt mit Gesamtkonzept dank „differenzierter Angebote für differenzierte Lebenslagen, das … vor Ort abgestimmt und vernetzt ist und bedarfsorientiert fortgeschrieben wird.“
Wir dürfen lesen, dass in Schwäbisch Hall „Familien eine hervorragende Infrastruktur!“ finden; Schwäbisch Hall eine Stadt ist, „in der Familien gerne leben und wohnen.“ Und in Schwäbisch Hall gibt es viele „beste Angebote“ im nationalen Vergleich…. Alles in allem verstehen „wir Haller… uns als Gemeinschaft, die zusammenhält und auf die man sich verlassen kann.“ „Die Stadt Schwäbisch Hall hält für Kinder und Jugendliche viel bereit: Kinder- und Jugendtreffs, Cafes, Werkstätten, Kletterwand, Pipe, Aktivspielplatz, Boote, Raumüberlassungen und ein attraktives Freizeiten-und Ferienprogramm.“
Schwäbisch Hall ist Tourismusstadt, Kulturstadt. Schwäbisch Hall ist schön. Aber ist Schwäbisch Hall auch die Bürgerstadt, die Familienstadt, als die sie sich in von Marketingspezialisten entworfenen Internetpräsenzen und Hochglanzbroschüren präsentiert?

Die Möglichkeiten, die die Stadt für Eltern, Kinder und Jugendliche in der Praxis bereithält und zulässt, erfüllen nur mangelhaft die tatsächlichen Bedürfnisse und Notwendigkeiten.
Was bedeutet Leben, Lebensqualität und Alltag für die einheimische Bevölkerung, für die vielen Familien, Kinder und Jugendlichen?
Der Wert und das Wohlgefühl des Lebens hier in dieser Stadt misst sich nicht an den – sicher attraktiven und bereichernden, aber nicht alltäglich konsumierbaren – kulturellen und touristisch ausgelegten Angeboten und „Events“.
Kinder und Jugendliche brauchen ihren festen Platz im Zentrum des Geschehens. Sie sind keine Minderheit und keine störende Nebenerscheinung, deren Interessen und Bedürfnisse an den Rand verdrängt werden können und dürfen.
Das Leben hat Töne, es ist manchmal laut und schrill, und es zeugt nicht von Familien- und Kinderfreundlichkeit, wenn diese Töne mit unterschiedlichem Maß gemessen werden. Lärm, der vermarktbar, verkäuflich und erträglich ist, wird zum Heiligtum erhoben und unter „kulturstädtischen“ Schutz gestellt; Lärm, den das Leben selbst – jenseits von Inszenierungen, Festivitäten, Kalkül… hervorbringt wird unterbunden, verbannt, verboten.

Die Stadt rühmt sich mit visionärer, moderner und zukunftsorientierter Stadtplanung, in der jedoch leider diejenigen, die die Zukunft der Stadt bedeuten keinen Platz finden.
Wo sind im Zentrum die Spielplätze, Bolzplätze, Jugendräume, die Cafes, die Angebote, in denen sich die Kinder und Jugendlichen unverbindlich und kostenlos treffen und erfreuen können?
Systematisch wurden in den letzten Jahrzehnten das Leben der Kinder und Jugendlichen in die Stadtteile, Vororte, Randgebiete verdrängt. Jugendzentren, Schülercafes geschlossen, Spielplätze abgebaut, Freiräume der Städteplanung geopfert.

Was blieb ist ein sogenannter Abenteuerspielplatz, dessen Betitelung viel verspricht, was er nicht halten kann. Er verfügt weder über annähernd befriedigende Kapazitäten für die ansässige Bevölkerung, geschweige denn für (vor allem an Wochenenden einströmenden) Besuchermassen, noch kann er mit Größe, Schönheit, Ausstattung oder Abenteuer glänzen. (Hier allein genügt beispielsweise ein Blick ins naheliegende Öhringen, das nicht wenigen Hallern allein aufgrund seiner Schöngestaltung der Parkanlagen und Spielplätze als häufig besuchtes „Ausflugsziel“ dient!)
Die wirklich guten, doch leider sehr zeitlich und altersspezifisch begrenzten Angebote, die das Jugendzentrum Heimbacher Hof in die Innenstadt trägt.
Versprechungen, die niemals dazu ersonnen wurden erfüllt zu werden.

Was kostet das Leben, was kostet die Kindheit, die Jugend?
Was kostet es die Stadt Kinder und Jugendliche in die Planung einzubeziehen, Spielplätze zu bauen, „Räume“ und Plätze, die vorhanden sind zu nutzen und entsprechend zu gestalten, was kostet es die Stadt unsere Kinder glücklicher zu machen?
Kostet es mehr, wie die aufwendige Bepflanzung kaum beachteter Blumenbeete, die genau diesen Raum bieten könnten? Kostet es mehr, wie die Pflanzenkübel, die im Kocherquartier südländisches Flair verbreiten sollen? Kostet es mehr, wie die vielen Investitionen, die in marketing- und zukunftsorientierte „erwachsene“ Projekte investiert werden?
Kostet es vielleicht nur einen kurzen Moment, die kleinstädtische Welt mit den Augen unserer Kinder zu sehen?
Die Betroffenen kostet es ihre Freiheit, ihre Ungebundenheit, ihr Selbstbewusstsein, ihre Selbstverwirklichung und vielleicht sogar ihre Visionen.

Wir brauchen Räume und Plätze, in denen auch die Wünsche und Anliegen der jungen Generation (und damit ihrer Eltern) berücksichtigt und umgesetzt werden. Wo sie sein können und dürfen, ohne sich einer Strategie und Bedarfsplanung unterwerfen zu müssen. Nicht irgendwo, sondern hier, im Herzen der Stadt, dort wo das Leben pulsiert.
Denn die Kinder und Jugendlichen wollen und müssen teilhaben am wahren Leben. Sie sind nicht Minderheit und nicht Mehrheit, sie sind Wahrheit. Sie sind laut, sie sind manchmal unbequem, doch vor allem sind sie da, sind inspirierend und sie zeigen, dass das Leben pulsiert und wächst und gedeiht. Sie wollen gehört werden, wollen gesehen, beachtet und geachtet werden. Sie sind bereit zu verstehen, wenn wir sie verstehen. Deshalb dürfen sie nicht mit haltlosen Versprechen vertröstet werden. Sie brauchen uns; sie brauchen uns in einer Umwelt, die sie umarmt und nicht wegstößt!

(Kirsten)